Vergleichen, verwerfen, verbessern, verändern.

Meine Stimme klingt abweisend – dabei würde ich gerne begeistern, mit schillernden Erzählungen über Afrika. Ich spüre Unmut, dabei wäre doch nichts schöner, als einen Abend lang – oder wenigstens eine Bierlänge lang – meinen Freunden von Afrika vorzuschwärmen.

Dieser Unmut richtet sich nicht gegen die Freunde. Wir reden darüber, ob es eigentlich richtig sei, an Orte zu reisen, wo die Armut der Einheimischen augenfällig ist – bzw. wo einem der eigene Reichtum vorgeführt wird. Im Hightech-Regenschutz nach Malawi. Oder im Landcruiser durch’s Reisfeld von Zambia.

Wie immer in dieser Situation hake ich ein wenig zu intensiv nach, meine Stimme wird scharf, wenn impliziert wird, es sei jemand vor unseren verwöhnten Idealen zu schützen. Was bringe ich mit an verführerischen Bildern, auch wenn ich nichts als eine Fussspur hinterlasse? Was stehle ich denen, die mich sehen? Was nehme ich mit in meine Welt, wenn ich wie ein Alien im Landcruiser von Pfütze zu Schlagloch torkle? Dabei ist die Frage berechtigt – schliesslich wurden schon Unmengen von ideellem Müll über den ehemaligen Kolonien abgeworfen.

Dieser Unmut richtet sich gegen mich selbst. Ich bin die reiche weisse Madame, ob ich in Kapstadt, Gurue, Quionga oder Biel hocke. Am einen Ort könnte nichts augenfälliger sein, woanders kostet es Aufwand, sich zu erinnern, besonders beim Bier, besonders mit Freunden, die mir am Herzen liegen. Zu wertvoll ist mir die Ruhe, die sie mir geben; willkommener Gegenpol zum Unmut darüber, dass ich die Welt nicht einfach kippen kann, bis alles im Lot ist.

Ich glaube an’s Lokale. Wo immer möglich, sollte ein Problem vor Ort, in diesem Moment, von den betroffenen Personen gelöst werden – von einer Familie, einer Dorfgemeinschaft oder der gesamten Menschheit. Aber bitte ohne Scheuklappen: erst wenn wir vielfältige Lokalitäten kennen, können wir Dringlichkeit, Wichtigkeit und Umfang unserer eigenen Probleme einordnen und eigene Lösungen entwickeln. Lösungen erfinden wir – und mit uns die Malawier, Zambier und alle Menschen – indem wir vergleichen, verwerfen, verbessern und verändern. Und das geht nur im Kontakt mit Fremdem, Anderem. Das ist es, was ich mitbringe beim Reisen: Andersartigkeit, Unruhe, Ideen und Hoffnung – mitnehmen will ich dasselbe.

Natürlich ist mein Unmut auch Heimweh: Heimweh danach, so aufgewühlt zu sein, dass ich darüber Schreiben muss. Heimweh danach, die Ungerechtigkeit zu fühlen, hören, sehen, riechen, schmecken – der unbequemen Ungerechtigkeit der Welt zum Trotz zu leben. Unendlich dankbar zu sein für meine unverdienten, hochgeschätzten Privilegien.

 

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